Woran glauben Sie - an Gott oder an die Natur?
Es gibt den Glauben an den einen Gott, der alles erschaffen hat und der der Existenzgrund für die Welt ist, indem er sie denkt. Dann gibt es aber auch den Geisterglauben oder Animismus und den Glauben an die Natur. Die Natur ist demnach beseelt von vielen Geistern, sei es in der Gestalt von Menschen, Tieren oder anderen Lebewesen. Natürlich gibt es dann auch noch die Geister der Verstorbenen oder mehr noch all jener, die sich gerade nicht in einer physischen Gestalt manifestieren. Ein werdendes Lebewesen oder auch nur ein physikalisches Objekt können demnach von einem Geist beseelt werden, der das physische Objekt dazu nutzt seinen Willen zu manifestieren. Soll er dort längere Zeit bleiben, so muß die Fähigkeit zu „Sinneswahrnehmungen” über das Objekt gegeben sein. Dann gibt es aber auch noch den Glauben an die strenge Mathematik, daß unsere Welt wie wir sie kennen durch mathematisch definierbare Symbolmanipulationen entsteht. Das ist zunächst auch gar nicht abwegig, wenn man sich die Fortschritte der modernen auf mathematischen Methoden basierten Naturwissenschaften vor Augen führt.
Doch zunächst zurück zum Ein-Gott Glauben, wie er in den westlichen Religionen und auch teils den Denksystemen zu finden ist. Wenn der eine Gott allein ist und die Welt denken muß, damit sie existiert, so könnte man davon ausgehen, daß dieser eine Gott in kürzester Zeit wahnsinnig werden müßte, zumindest dann wenn er menschliche Züge trägt. Wir Menschen sind immer auf andere Menschen oder unsere sonstige Umgebung angewiesen, mit der wir kommunizieren und in Kontakt treten können. Sperrt man einen Menschen in einen dunklen und kahlen Raum, so wird dieser in kürzester Zeit unter einem fortgeschrittenem Realitätsverlust mit allen dramatischen Folgen leiden. Nun ist es aber so, daß Gott den Menschen zumindest im Christentum nach seinem Ebenbild erschaffen hat, daß also eine inhärente Ähnlichkeit zwischen Mensch und Gott existieren sollte, die sich in einer so fundamentalen Eigenschaft des Menschen wohl nicht irren könnte.
Ist es also so, daß Gott die Welt lediglich erschaffen hat, sich dann aber von seinem Schöpfungswerk bis auf gelegentliche Interventionen zurückgezogen hat? Das klingt zunächst wesentlich plausibler. Untersuchen wir also dieses Modell auf seine Erklärungskraft. Wir könnten dann Gott aber nicht länger als einzige Ursache annehmen, da es ja neben Gott noch eine Welt und im mathematischen Sinne einen Mechanismus geben muß, der diese Welt in Ausführung hält. So weit so gut. Nun aber zur eigentlichen Erklärungskraft des Schöpfungsmythos. Wir wollen nicht grundsätzlich in Abrede stellen, daß es möglich ist etwas zu erschaffen, das komplizierter ist als man selbst - und nur dann wäre die Erklärungskraft größer Null. Es macht nämlich keinen Sinn etwas einfacheres durch etwas komplizierteres zu erklären.
Wenn die Welt also komplizierter ist als Gott selbst, dann kann dieser nicht mehr die vollständige Kontrolle über die Welt haben. Prüfen wir weiters diesen Gedanken auf seine Plausibilität. Wir als Menschen, die wir uns in Natur und Formalwissenschaften bereits erprobt haben, wissen nämlich eigentlich nur zu gut, wie schwierig es ist etwas anderes zu erschaffen. Wir sind weit davon entfernt das Leben künstlich neu erschaffen zu können, nicht einmal als 1:1 Kopie des bestehenden, wobei dies ohne tieferes Verständnis möglich wäre. Wir können also nicht einmal ein sehr viel einfacheres Lebewesen schaffen.
Demgegenüber steht aber das in der modernen Physik wohlbekannte Prinzip der Selbstorganisation, daß sich also komplexere Strukturen von selbst herausbilden können. Physikern ist es allerdings bisweilen ein Rätsel wie dieses Prinzip in Wirklichkeit funktioniert. Eine dem Geisterglauben anhängige Deutung des Prinzips der Selbstorganisation ist demnach, daß ein Geist oder eine Seele sich im Chaos nach freiem Belieben selbst manifestieren kann; zumindest eines Geistes oder einer Seele, die sich nicht an eine physikalische Gestalt fix gebunden hat. Aus einem ähnlichen Prinzip rühren auch die Personifikationen der Naturgewalten her, also von Wind, Wetter und ähnlichen Phänomenen.
Kommen wir aber zunächst zurück zu dem Glauben der mathematischen Definierbarkeit unserer Welt, also von allem was ist und existiert. Es steht aus meiner Sicht einem Menschen der an die Beseeltheit der Welt („Geisterglaube”) glaubt gleichzeitig auch frei an die mathematische Definierbarkeit von allem was ist zu glauben. Wir können also auf diesem Wege nach dem Urgrund allen Seins forschen. Gehen wir zunächst von einem Zufallsgenerator aus, der eine echt zufällige Bit- oder Zahlenfolge generiert. Würde man lange genug warten, so würde hier jede Struktur, die existieren kann, irgendwann einmal auftauchen. Nun ist der Einwand berechtigt, daß eine tote Zahlenfolge nur eine tote Zahlenfolge ist und nicht die Beseeltheit der Natur zu erklären vermag. Wenn wir aber eine zweite Eigenschaft hinzufügen, so kann sich dies schlagartig ändern: Die Eigenschaft eine Struktur auf sich selbst oder auf Teile von sich selbst und andere anzuwenden. Plötzlich haben wir damit einen Ausführungsfluß in die bisher tote Zahlenmenge gebracht, also von etwas das sich mit der Zeit ändert. Es kommt uns nun vielleicht auch der Gedanke, daß die Selbstähnlichkeit eine fundamentale Eigenschaft in der Natur ist. Man denke nur an ein Farnblatt, dessen Blätter selbst wie kleine Farnblätter aussehen - oder an das gut bekannte „Apfelmännchen”, die Mandelbrotmenge in der Physik, das hoch-komplex und selbstähnlich ist aber von einer einfachen mathematischen Regel erzeugt wird. Auch hier ähneln sich das Ganze und ein Teil des Ganzen wie nach der Anwendung einer Struktur auf sich selbst.
Eigentlich haben wir damit auch schon den Grundstein für die Vereinbarkeit von formalem oder mathematischen Schöpfungsmythos und dem Geisterglauben gelegt, denn man kann eine Seele einfach als Struktur mit Selbstanwendung deuten, die dadurch im Austausch mit ihrer Umwelt zu immer neuen Gedanken kommt und dabei in sich abgeschlossen ist.
Nun gibt es aber demgegenüber den vor allem in vergangenen Jahrhunderten der naturwissenschaftlichen Evolution verwurzelten Gedanken, daß wir bald alle Naturgesetze kennen werden oder daß dies zumindest prinzipiell möglich wäre. Dann, so geht derselbe Gedanke in einer Erweiterung weiter, könne man beispielsweise auch die Entscheidungen eines Lebewesens durch technische Simulation eines Gehirns in Zukunft vorausberechnen. Nach der Chaostheorie könnte eine solche Simulation aber durchaus zu ganz anderen Ergebnissen führen, als sie das jeweilige Lebewesen dann tatsächlich ergreifen würde. Die Gedankenrichtung stellt aber nicht in Abrede, daß dies grundsätzlich problemlos möglich wäre. Weiters könnte man auch alle anderen Abläufe in der Physik auf solche Weise durch genau genuge Kenntnis der Naturgesetze simulieren.
Daß aber nicht einmal die ausreichende Kenntnis der Naturgesetze zwingend notwendigerweise überhaupt zu erreichen möglich ist, zeigt ein Blick auf die Mathematik. Verschlüsselungsverfahren sind eigens dafür entwickelte Verfahren, daß sie funktionieren ohne das Geheimnis, den geheimen Schlüssel eben, preiszugeben. Soetwas könnte es natürlich auch in der Natur oder den Naturgesetzen geben, indem etwas einfach nicht meßbar ist oder dessen zugrundeliegende Naturgesetze nicht rekonstruiert werden können.
Was beispielsweise unsere Denkprozesse betrifft, so könnte man durchaus auch ähnliche Annahmen treffen. Einstein hat einmal gesagt wenn man sich eine funktionierende Uhr ansehe, so kann man unmöglich erraten welcher Mechanismus diese antreibt. Tatsächlich aber können wir heute in der Informatik mit neuronalen Netzen biologische Systeme bis zu einem gewissen Grad nachbauen, doch ist es absolut unmöglich für den Erbauer des Systems festzustellen, wie das neuronale Netz zu seinem Entschluß kommt. Selbst wenn man dem neuronalen Netz eine Erklärungskomponente hinzufügt, ist die Erklärung, die es für eine Entscheidung produziert, fundamental unterschiedlich von der tatsächlichen Entscheidungsfindung. Wir kennen das vom Menschen: Wir entscheiden „mit dem Bauch” und erklären „mit dem Kopf”.
Gleich ob sich jetzt komplexe Systeme wie ein tierisches Gehirn einmal einwandfrei technisch simulieren lassen werden oder nicht, der Glaube an die Beseeltheit der Natur behält seine Gültigkeit. Warum sollte sich ein Geist nicht etwa auch in einer vom Menschen geschaffenen Struktur manifestieren können oder wollen?
Die Tatsache aber, daß wir nicht in die Entscheidungen einer anderen Seele hineinschauen können, die bleibt bestehen. Wir müssen erkennen, daß das Prinzip der Datenkapselung, das hier seine Verwirklichung findet, ein fundamentales Prinzip in der Informatik und zwar der objektorientierten Programmierung ist und damit Teil eines überwiegenden Großteils der im Einsatz befindlichen Programme und Anwendungen (vor allem größerer Programme). Demnach ist es auch unmöglich vorauszuberechnen, was ein Lebewesen tun wird, da sich seine Gedanken nur unmittelbar vorher physisch im Gehirn manifestieren werden, einmal ganz abgesehen davon, daß es derzeit keine Methode gibt diese zu dekodieren. Weiters bleibt die Spontanität der Seele erhalten, da diese ihre Entscheidungen aufgrund von nur in ihr selbst bekannten Parametern und Größen trifft, die niemals von außen gemessen werden können.